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Mein Großonkel Peter oder: Was der Onkel, den ich nie kennenlernte, mit der Trilogie über die Winterfrauen zu tun hat

Ich brach in fremde, leerstehende Häuser ein, um mir Geschichten über Menschen auszudenken, die dort gelebt hatten. Dabei war mein eigenes Haus der verlorenste Ort von allen. Meine Familie war ein ganz eigener Lost Place, und unsere Vergangenheit war nie erzählt worden.

aus: Ein Ort, der sich Zuhause nennt

Niemals, das hatte ich mir immer vorgenommen, niemals wollte ich etwas schreiben, das in der Zeit des Nationalsozialismus angesiedelt ist. Ich dachte immer, das sollen doch lieber Menschen machen, die historisch richtig firm sind, die sich auskennen, die alles wissen. Und wenn ich ehrlich bin, steckte dahinter auch eine Angst, mich mit dem perfiden, menschenverachtenden System in dieser Genauigkeit auseinanderzusetzen, die es braucht, wenn man die eigenen Figuren in diese Welt schicken will, um ihre Geschichte zu erzählen.

Aber wie sollte das gehen bei 120 Jahren Frauengeschichte und vier Generationen von den Müttern und Töchtern der Winterfrauen? Da kann man die zwölf Jahre, in denen Deutschland in einer Diktatur versank und alle Werte sich umkehrten, ja nicht auslassen. Ganz im Gegenteil. Genau diese Jahre beeinflussen uns bis heute, und haben natürlich auch die Frauen der Winters geprägt.

Das Schweigen in den deutschen Wohnzimmern und an den deutschen Küchentischen, mit denen die Nachkriegskinder und die Nachkriegsenkel aufgewachsen sind, spielt eine große Rolle in unser aller Leben.

Ach Kind, das willst du nicht wissen.

Ja, das waren schlimme Zeiten.

Sei froh, dass das vorbei ist.

Diese Sätze sind bestimmt nicht nur mir vertraut. Ich wusste nie Genaues und bekam auch nie konkrete Antworten, wenn ich in meiner Familie nachgefragt habe. Und auch damit bin ich nicht allein.

Na, der musste ja in die Partei.

Man hatte ja keine Wahl.

Also, nein, dafür waren wir auch nicht.

Mehr wurde nicht darüber gesprochen. Es gab natürlich Anekdoten, die zur Familiengeschichte gehörten: Eine Nachbarin hatte in der Stadt eine Ziege auf dem Balkon gehalten, eine andere hatte auf ihrem Balkon Erde aufgeschüttet und Gemüse gezogen, gegen den Hunger. Ob es auch eine Nachbarin gegeben hatte, die denunzierte? Davon wurde nie gesprochen.

Es wurde auch nie von meinem Onkel Peter gesprochen. Dass es überhaupt einen Onkel Peter gab, erfuhr ich erst in den Achtzigern, als meine Mutter nach einem Telefonat den Hörer auflegte: Onkel Peter ist gestorben.

Onkel Peter? Wer war das? Ich hatte nie von einem Onkel Peter gehört. Er war – so stellte es sich an diesem Tag heraus – der Bruder meiner Großmutter, der in Nizza lebte und dort starb. Nizza! Warum haben wir ihn nie dort besucht? Warum wusste ich überhaupt nicht, dass meine Oma überhaupt einen Bruder hatte?

Meine Mutter druckste ein wenig herum. Onkel Peter war zwar wiedergekommen nach dem Krieg, erfahre ich, aber er wollte nicht bleiben, er ist zurück nach Frankreich und hat dort geheiratet. Ich musste mehrfach nachfragen, bis ich folgendes erfuhr:

Onkel Peter war in der Resistance. Er hat in Frankreich gegen die Nazis gearbeitet. Und nein, er war für meine Mutter, die damals ein kleines Mädchen war, kein Held. Er war jemand, wegen dem man Angst hatte, wegen dem man schweigen musste, wegen dem man auch nach 1945 schief angeschaut und gemieden wurde. Denn die Menschen waren ja noch die gleichen. Krieg und Diktatur waren vorbei, es wurden andere Fahnen gehisst, aber deshalb war immer noch niemand stolz darauf, dass jemand aus der eigenen Familie im Widerstand gekämpft und Haltung bewiesen hat. Onkel Peter galt erst als Drückeberger, weil er nicht in den Krieg zog, dann als Verbrecher, weil er sein Vaterland verriet, in dem er seine Moral bewahrte,  und später als Schmarotzer, weil er Wiedergutmachung beantragte. Es wurde getuschelt und er wurde gemieden. Kein Wunder, dass er nach Frankreich zurückgekehrt ist, wo die Kämpfer der Resistance als Helden gefeiert wurden.

Durch diese Geschichte habe ich begonnen, mich mit dem Widerstand zu beschäftigen, und war erstaunt, wieviel Widerstand es gab. Im Kleinen, im Verborgenen, in der Nachbarschaft. Wir alle kennen Stauffenberg und die Weiße Rose, die Rote Kapelle vielleicht noch. Wir kennen Schindler´s Liste und die ein oder andere lokale Widerstandsgeschichte, wenn sie denn erzählt wurde. Aber was mich wirklich beschäftigt hat, ist, dass all die, die in ihrem Alltag aktiven Widerstand geleistet haben, so gut wie nie darüber gesprochen haben. Sie wurden von der Geschichtsschreibung nicht zu Heldinnen und Helden stilisiert, obwohl sie es waren. Sie haben täglich ihr Leben riskiert, weil sie an ihren Werten festgehalten haben und sie nicht ausgetauscht haben, als es verlangt wurde.

Und so eine Geschichte wollte ich erzählen. Die Geschichte einer jungen Frau, die etwas ungerecht findet und sich entscheidet zu helfen. Im Kleinen. Im Verborgenen. Es gab so viele solcher Frauen, viel mehr als ich je geahnt hätte. Und wir wissen so wenig von all den unentdeckten Helferinnen, die unglaublich viele Leben gerettet haben. Das hat mich tief bewegt.
Charlotte ist eine fiktive Figur, aber viele Lebensgeschichten, auf die ich gestoßen bin, sind in sie hineingeflossen.
Vor all diesen Frauen verneige ich mich tief. Und wünschte, sie hätten mehr erzählt…

 

Ich danke (c) Frank Prümmer dafür, dass er mir die Fotografie zur Verfügung gestellt hat, die er auf seiner Suche nach Verlorenen Orten gemacht hat.

 

 

 

 

 

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