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Schreibklausur, die erste…

Einmal richtig Zeit haben für den Roman, habe ich mir gedacht. Nur der Roman und ich.
Ungestört mit den Figuren plaudern, ungestört zuhören können, was sie mir sagen wollen.
Ohne an die Wäsche zu denken, die Steuer, den leeren Kühlschrank, die nächsten Lesungstermine.
Ohne die durchaus geliebten und willkommenen Ablenkungen: Schatz, hast du auch Hunger? Ein Anruf meiner Tochter, ein spontaner Besuch von Freunden. Ohne den inneren Faden zu verlieren,  den ich gerade spinne, nur weil ich mein Arbeitszimmer verlasse, und dadurch ansprechbar bin.

Ich fahre los, das Auto voller Bücher, die ich vielleicht zum Recherchieren brauche, Papier, Post its, Notizblöcke, Lieblingsstifte, Laptop, eine Kuscheldecke, falls es kalt wird in England, ein frisches Roggenvollkornbrot, und meine Klamotten.
Natürlich bin ich aufgeregt. Es kommt mir vor, als wäre ich Jahre nicht alleine unterwegs gewesen, und wenn ich richtig darüber nachdenke, dann ist es auch genau so: Familienleben, Berufstätigkeit, Familienurlaube, Alltag, Schreibzeiten.
Natürlich bin ich immer mal für ein, zwei Tage alleine unterwegs, zu Drehbuchbesprechungen, Filmfesten, oder wenn ich meinen neuen Verlag dtv besuche. Aber es ist etwas anderes zu wissen, dass nun zwei ganze Wochen vor mir liegen, in denen ich die schöne, gemütliche Alltagsroutine komplett verlasse, und ganz allein bin mit meinem Projekt und mir.

Im Auto höre ich Covers Unplugged auf Spotify, während die Kilometer sich sammeln und merke, dass meine Figuren sich im Auto neben mir breit machen und mir erzählen, wie es weitergehen soll.

Ich beziehe mein kleines Cottage und richte mich dort ein, der Arbeitsplatz kommt in die Küche an den großen Tisch, ans Bett kommen die Lesestapel und im kleinen Cottage Garden gibt es den ganzen Tag über Sonnen- und Schattenplätzchen, am Meer bin ich in fünf Minuten, um den Kopf zu lüften und und ich merke, dass ich nicht viel mehr brauche als genau das.

Schon nach ganz wenigen Tagen stellt sich eine Routine ein, die anscheinend ganz und gar meine ist, weil es nichts von außen gibt, was mich dazu drängt. Ich schreibe von morgens bis Mittags, so lange wie ich kann, und so lange der Hunger mich noch denken lässt, mache eine kleine Mittagspause, dann ab in die nächste Schreibphase, bis zum späten Nachmittag. Dann habe ich oft das Bedürfnis nach einer längeren Pause. Bewegung, eine Radtour, ein langer Meerspaziergang, Schwimmengehen in der trüben Nordsee, treiben lassen. Weite Blicke übers Meer statt kurzsichtig auf den Computerbildschirm zu starren, den ganzen Körper bewegen, und nicht nur die Finger über die Tastatur huschen lassen. Und die ganze Zeit über kann ich in der Welt bleiben, die sich in meiner Phantasie immer mehr verdichtet, kann ich hören, was mir meine Figuren zuflüstern, was sie sich wünschen, was sie erhoffen. Ich muss ihnen trotzdem leider ab und zu einen Strich durch ihre schönen Pläne machen…
Abends kommt der einsamste Moment. Wenn ich von meinem Ausflug zurück in mein Cottage laufe, verschwinden die Paare in den Restaurants, grillen Freunde am Strand, oder Freundinnen treffen sich in den bunten Beachhuts zu Drinks die teilweise so fancy aussehen, dass ich sie lieber nicht probieren würde… aber ein Schwätzchen, ein kleines?, sammeln Familien ihre Kinder und Habseligkeiten zusammen, um  nach hause zu gehen und zu kochen…
Und ich spaziere nach einem einsamen Sundowner in meinem Lieblingspub am Strand, dem Old Neptune, wo man die Sonne langsam im Meer untergehen sieht,  allein an allen vorbeis…. Hmpfff
Aber dieser Moment hält zum Glück immer nur solange an, bis ich wieder in meinem Cottage bin und die letzte Schreibphase des Tages angehe.
Zwei Wochen lang ist das alles genau so.

Meine Erkenntnisse:
1. Der Tag kann so lang sein! Ich hatte so viel Zeit. Zeit für Bewegung, Zeit für gesunde Ernährung, Zeit zum Ausschlafen, und so viel Zeit für meinen Roman, der wirklich wachsen konnte, weil er meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Ich habe so viel gearbeitet, wie nie, und hatte trotzdem das Gefühl, im Urlaub zu sein. Daraus resultierend, die große Frage: Warum schaffe ich das im Alltag nicht, und wie könnte ich den Alltag verändern? Geht das überhaupt?

2. Ich habe viel Energie! Ich musste meine eigenen Grenzen nicht hüten, und die Grenzen von niemand anderem respektieren, das hat unglaublich viel Energie freigesetzt, und mich durchlässiger gemacht für Gedanken, Eindrücke, Phantasie. Und das war vielleicht die verblüffendste Erfahrung überhaupt: Zu spüren, dass es anscheinend Kraft kostet, mit Menschen zusammen zu sein. Auch mit Menschen, die ich bedingungslos liebe, die ich mag, die mich interessieren, ohne die ich nicht sein will. Weil ich mich um sie sorge, weil ich ihre Anliegen kennen will, mich ihre Gedanken interessieren. Ich stelle es mir so vor, dass ich anscheinend immer irgendwie damit beschäftigt bin, eine Membran aufzubauen, mit der ich mich abgrenze: hier bin ich, da fängst du an, und ohne diese Membran überhaupt bilden zu müssen, bekomme ich einen großen Raum. Das ist zwei Wochen lang interessant. Aber leben will ich so nicht!

3. I am what I am…Wie bin ich? Wenn es niemanden gibt, der mich definiert, und wenn mir keiner sagt, wie ich bin? Jeder Mensch beherrscht viele Rollen in seinem Leben, hat viele Seiten, die durch bestimmte Menschen und Konstellationen zum Klingen kommen. Gibt es Seiten, die anders klingen, oder Töne, die sonst fehlen, aber dazugehören? Ich erkenne keine großen Diskrepanzen und nehme das als gutes Zeichen. I am what I am…

4. Ich werde es immer wieder tun. Und mich danach immer wieder auf mein Alltagsleben freuen. Denn ich habe den untrüglichen Verdacht, dass ich es nur schön finde, allein zu sein und dem Alltag zu entfliehen, weil ich weiß, dass mein Leben und meine Lieben auf mich warten, wenn ich zurückkomme…

Kaum bin ich zurück, stoße ich auf ein Zitat von Camus: “In order to understand the world, one has to turn away from it from time to time….”

 

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